Es war eine neue Erfahrung, dass mit Carla Baumer für fünf Monate eine Gastschülerin aus Australien am Progy weilte. Sie hat von Anfang Januar bis Mitte Mai den Unterricht in der Klasse 9a besucht. Hier ihre Eindrücke:
"Der 7. Januar 2003 war mein erster Schultag in der Progymatte Thun. Alles war mir fremd. Ich hatte nichts Besonderes erwartet. Ich habe schon oft neu angefangen, an verschiedenen Schulen, doch diesmal war alles anders. Ich werde nur fünf Monate den Unterricht besuchen, und jedes Fach wird, ausser Englisch, in deutscher Sprache abgehalten. Ich habe in vielen Bereichen profitiert und gelernt. Der Alltag in der Progymatte Thun ist von der Struktur, vom sozialen Umfeld wie auch vom schulischen Stoff her ganz anders als zu Hause an der Wollumbin High School.
Der Stundenplan und die Struktur der Progymatte-Schule sind nicht zu vergleichen mit der Schule zu Hause. Der Schulanfang um 7.30 Uhr war für mich höchst ungewöhnlich, denn zu Hause fängt die Schule erst um 8.45 Uhr an. 45 Minuten Unterricht und dann 10 Minuten Pause gibt’s bei uns auch nicht. Zum Mittagessen nach Hause zu gehen ist unmöglich, denn die meisten kommen mit einem Bus in die Schule und wohnen zu weit weg, um den Weg in einer Stunde zu schaffen. Unser Tagesplan sieht etwa so aus:
8:45 – 9:43 Period 1
9:43 – 10:41 Period 2
10:41 – 11:11 Break 1
11:11 – 12:09 Period 3
12:39 – 1:37 Period 4
1:37 – 2:07 Break 2
2:07 – 3:05 Period 5
Eine Lektion ist eine Period. Ich habe mich am Anfang sehr gewundert, warum die Schweizer Schulen einen so langen Schultag haben. Ich habe herausgefunden, dass das vor allem an den Sprachen liegt. Hier gibt es mehr Sprachen: Deutsch, Französisch und Englisch sind alles Pflichtfächer. In der Wollumbin High School kann man eine Sprache als "elective" (Ergänzungsfach) wählen, oder man kann sich etwas anderes aussuchen. Musik und Kunst sind auch Ergänzungsfächer. Nicht nur der Stundenplan, auch andere Eigenarten sind hier im Vergleich zur Wollumbin High School sehr gewöhnungsbedürftig. Die Bibliothek an der Wollumbin High School zum Beispiel ist immer offen, und Computer mit Internetanschluss stehen jederzeit zur Verfügung. In unserer Bibliothek zuhause sind zwei Bibliothekare angestellt, damit alles rund läuft. Wir haben auch einen Berufsberater, eine Schulkrankenschwester, eine Kantine und einen Bürotrakt mit vier Büro-Sachbearbeiterinnen. In der Progymatte gibt’s aber eine Heftausgabe, die es zuhause nicht gibt. Wir müssen die Hefte selber kaufen. Die Struktur der Progymatte ist traditionell. Wollumbin High School ist eine sehr neue Schule und wurde erst 1995 eröffnet.
Auch was den sozialen Aspekt betrifft, gibt es sehr grosse Unterschiede zwischen der Progymatte Thun und der Wollumbin High School. Hier läuft alles ruhiger ab als zuhause. Die Leute hier sind höflicher miteinander. Es gibt eigentlich keine grossen Probleme zwischen den Mitschülern. Der Umgang ist freier, denn es gibt hier keine "hangs" (Gruppen) mit restricted and set territories. Hier sind alle mehr gemischt. Das finde ich super. Ich fand meine Mitschüler angenehm, nett und offen. Wenn man von der Schweiz hört, werden die Leute nicht als offen beschrieben, doch in der Progymatte erlebte ich das Gegenteil. Die zwischenmenschlichen Beziehungen (student teacher relationship) zwischen Schülern und Lehrern sind auch sehr verschieden. Zuhause baust du leichter eine Kameradschaft mit deinen Lehrern auf.
Obwohl man, wie überlall auf der Welt, nicht immer alle Lehrer mag, sind zuhause zum Teil gute Freundschaften zwischen Schülern und Lehrern möglich. Hier gibt es viel mehr Distanz und Respekt und die Lehrer sind viel weiter oben in der Hierarchie.
Vielleicht hat das mit "respect your elders" oder einfach mit der schweizerischen Umgangsform zu tun. Doch am Anfang hatte ich Mühe damit. Du machst keine Witze oder ironischen Bemerkungen. Man diskutiert auch nicht und die Meinung der Schüler ist nicht gefragt. Ich finde, dass man den Lehrer nicht als besten Freund oder Onkel betrachten soll, aber wenn man diese Person jeden Tag sieht, sollte man sich mit ihm gut und hemmungsfrei verstehen können.
Die Schulstunden waren der grösste Unterschied zu meiner Schule in Australien. In der Schulstunde ist es im "Progy" ruhiger. Sehr wenig gibt es lautes Lachen, Argumente, Diskussionen oder eine dritte und vierte Erklärung für etwas. Wollumbin High School ist nicht ein riesiges Chaos, aber es ist im "Progy" sicher angenehmer für die Lehrkräfte. In der Wollumbin High School gibt es selten einen Lehrer oder eine Lehrerin, die mehr als ein Fach unterrichten, die meisten Lehrer sind spezialisiert auf ein Fach. Im "Progy" hat man viel den gleichen Lehrer für mehrere Fächer. Es wird auch viel weniger Wert auf Kunst und andere kreative Fächer gelegt. Ich finde es super, dass man drei Sprachen lernen muss. In Australien kannst du Sprachen freiwillig nehmen, aber ich finde es schade, wenn man nur eine kann, denn der Weltmarkt wird immer grösser und die Globalisierung ist eine Tatsache in der heutigen Zeit.
Ich finde, dass mein Austausch das Beste ist, was ich bis jetzt gemacht habe. So eine Möglichkeit bekommen nicht viele, und ich bin sehr dankbar. Am Anfang musste ich mich an meine neue Heimat, die Leute, die Schule und den neuen Tagesablauf gewöhnen, doch jetzt finde ich es schade, dass ich in wenigen Wochen schon wieder gehe, die Progymatte Thun hat mir eine super Gelegenheit und "a graet experience" gegeben, " a real eye opener". Der Austausch hat meinen Horizont erweitert. Ich bin sehr dankbar für die Freundlichkeit und Offenheit der Mitschüler und aller Mitarbeiter der Progymatte Thun. Es war vieles anders als zu Hause. Obwohl du immer negative Sachen finden kannst, gibt es überall auch positive Seiten und Aspekte. Die Progymatte Thun war ganz gewiss eine positive Erfahrung."